Y e l l a
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... sah ganz und gar nicht so aus,als sei mit ihr zu spaßen, obwohl sie nur Haut und Knochen war und die kleine schrumpelige Seele in ihrem Innern an den dürren Rippen klapperte.
„Und du glaubst, damit sei das Problem dann aus der Welt ?“
Sie zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch verächtlich durch die Nase.
„Er wird wieder kommen, wieder und wieder. Du wirst ihm nicht einen Cent geben ! Lass mich nur machen.“ Nachdenklich rieb sie mit ihrer linken Hand die Grübelfalten über der Nasenwurzel.
Sie hatte lange schmale, aber sehnige Finger. Vor Jahren hatten sie beim Klavierspiel
wahre Wunder vollbracht, und Yella hatte ihnen ein Vermögen zu verdanken.
Sie schloss kurz die Augen, dann sah sie zu Charlotte hinüber.
Bis gestern hielten sich die beiden alten Mädchen noch für verruchte Abenteurerinnen,

weil sie sich einen jungen Liebhaber leisteten. Schließlich war Rolf erst dreiundachtzig.

 

Das hatte Yella seit elf Jahren hinter sich.
Na, wenn schon.
War ja sonst nichts los in diesem Seniorenkäfig.
Aber wenn der Grünschnabel nun dachte, er könne ihre beste Freundin erpressen, da sollte er sie mal richtig kennen lernen.
„Wie lange weiß er es ? Glaubst Du, er hat es schon jemandem erzählt ?“
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Es muss letzten Montag gewesen sein. Ich brauche ja nur ein Fläschchen im Monat. Ich war gerade an der Schwester vorbei, als er auch über den Flur schlich.
Er schleicht ja immer erst halb neun in sein Zimmer.“
„Na gut. Egal. Jetzt muss uns schnell etwas einfallen. – Hör zu: Wir laden ihn für Freitag zum Essen ein. Ein feierlicher kleiner Abend zu dritt. Musik. Vielleicht eine Runde Karten. Und ich bitte meine Nichte, ihre berühmten Holundercrêpes zu backen.“
„Und du meinst, er lässt sich umstimmen ?“
Yella blies den letzten Zigarettenrauch langsam und still durch die Nase. Sie würde sich jetzt zurückziehen 
und das Thema bis Freitag ruhen lassen.


Charlotte hingegen machte sich ernstlich Sorgen. Seit etwa zwei Jahren waren ihre Schmerzen unerträglich geworden. Erst hatten die Schmerzmittel noch geholfen. Später nur noch Morphium.
Und inzwischen leistete sie sich ab und zu einen kleinen Extraluxus. Aus dem Medizinschrank.
Eine alte Dame von über neunzig würde man ja wohl kaum ins Gefängnis stecken. Das ging doch bestimmt als Mundraub durch, oder Eigenbedarf, oder was in der Richtung … Und was ging das Rolf eigentlich an ? Schäbig, einer alten Freundin solche Schwierigkeiten zu machen. Gut, dass sie Yella hatte. Na, der soll Freitag mal kommen.

Yella sah noch einmal auf den kleinen Tisch mit den Sammeltassen. Es sah hinreißend aus. 
Rotwein oder Kirschlikör, je nach Geschmack. Vanilleeis und Holundercrêpes. Noch eine Prise Puderzucker, und das Ganze war einfach unwiderstehlich. 
Holundercrêpes nach einem alten Familienrezept. Mit einer feinen, aber wirksamen Prise gehackter Haselnüsse.
Sie kann ja nun wirklich nicht wissen, dass Rolf an einer albernen Allergie gegen Nüsse litt.
Auch wenn er noch ein rüstiger Kerl war, konnte das in seinem Alter leicht gefährlich enden ...

In diesem Moment riss Charlotte die Tür auf, fast grün vor Schreck. 

„Yella, du musst sofort mit zu Rolf ins Zimmer kommen. Es ist schrecklich !“

 

Rolf lag neben seinem Bett, fertig angekleidet, in seinem hellgrauen Blazer. Die Ärztin hob verzweifelt die Hände. „Herzinfarkt. Er war schon heute Morgen so unruhig. Irgendwas schien ihn zu beschäftigen.“

Yella nahm sein fliederfarbenes Einstecktuch und tupfte sich gerührt die Nase.
„Der verflixte Grünschnabel. Dabei hatten wir uns so auf den gemeinsamen Abend gefreut ...“