M i l l a
_________


... sank erschöpft in ihren Korbsessel und versuchte ganz ruhig zu atmen. Ihr Kopf
schien fast zu zerspringen. Ihr Puls raste. Klirrende Kälte kroch unter ihren Bademantel. Ringsum tobte der Sturm. Die Glasscheiben der Veranda bebten in den zersplitterten Rahmen. Blaulicht zerschnitt rhythmisch die nächtliche Dunkelheit.
Die Kettensägen der Feuerwehrleute kreischten in die Nacht.

Leute in Uniform kämpften in ihrem Garten mit dem entwurzelten Kirschbaum. Er war
mit der Wurzel herausgebrochen, in mehrere Teile zerborsten und hatte das Verandadach durchschlagen. Ein Alptraum ...-
Wie sollte sie das alles ohne ihren Hugo durchstehen ? 

Hugo, der so große warme Hände hatte, dass sie ihre kleine Faust immer darin einkuscheln konnte. Er war mitten in der Nacht von dem Baum erschlagen worden
und rührte sich nicht mehr. Was musste er auch nach der klappernden Verandatür
sehen ! Und das alles heute, da sie gemeinsam ihren fünfzigsten Hochzeitstag
feiern wollten.

Mein Gott, fünfzig Jahre – ein ganzes Menschenleben. Sie hatten sich so sehr geliebt
und waren immer füreinander da gewesen.
Bis auf damals – im Juni 45 – als Soldaten ihre kleine Stadt besetzten. Die Älteren hatten sie gewarnt, sie solle in den nächsten Tagen nicht aus dem Haus gehen. -

Die Männer kamen am dritten Abend.


Nahmen, was sie finden konnten. Einer zerrte sie in die kleine Stube. Dort fiel er über sie her. Ohne auf ihre Tränen, ihr verzweifeltes Bitten und Flehen zu achten.
Sie hatte bisher noch keinen Mann gehabt, wollte sich für ihren Hugo aufheben,
bis der Krieg endlich vorbei war und ihr Hugo bei ihr zu Hause.-

Das Kind kam im nächsten Frühjahr.

Während der gesamten Schwangerschaft hatte sie sich ihm entgegen gestemmt, kaum zugenommen. Bei der Geburt presste sie ihr Innerstes nach außen. Danach hatte sie nie wieder Kinder bekommen können.

Hugo kam im folgenden Sommer.


Nur mit einem schwarzen Lederkoffer. Mehr hatte ihm der Krieg nicht gelassen. Schmal und schweigsam war er. Fremd zuerst. Auch sie. Langsam nur erzählte sie, und am Ende
brach es aus ihr heraus wie ein riesiger Schmerz und riss alle Tränen und Sehnsucht
und Liebe mit sich fort.

Bis der Junge im Herbst plötzlich verschwunden war. Sie hatten gesucht und geweint,
doch ohne Erfolg. Tagelang. Die Behörden waren völlig überlastet. Sie waren ganz auf sich allein gestellt. Und hatten nichts erreichen können.


Aber wenigstens zusammen waren sie. Hugo trocknete behutsam ihre Tränen. Später
hatte er ihre kleine Faust in seine warme Hand genommen. Schweigsam. Und so war auch sie mit der Zeit ruhiger geworden. Hatte mit dem Schmerz um den Jungen die Schmerzen
in ihrer Seele betäubt.

Milla nahm sich ein Glas Tee und ging in den Garten. Die Männer hatten bei der Wurzel etwas gefunden. Einen schwarzen Lederkoffer. Milla fasste das Glas fester. Als sie den Deckel hoben, raste das Verstehen durch ihren Körper. Sie ließ das Glas fallen und sank lautlos auf den Rasen. Ihr kleines Herz, das so viel Angst erlitten hatte,
hatte aufgehört zu schlagen.