Die beiden Fotos zeigen zeitgenössisches Türmer-Ambiente anhand der Türmer-Wohnung in St Aegidien, Oschatz. Fotos Silke Heinig. 


Die Glocken-Guste.

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Bad Salzungen. Stadtkirche.

Bis zum 1. August 1928 - 33 und ein halbes Jahr - tat Auguste Börner, die „Glockenguste“, in der Stadtkirche in Bad Salzungen ihren Dienst. Sie war eine Frau, die durch ihren Fleiß und ihre ausdauernde Zähigkeit die Achtung und Herzen der Bad Salzunger gewann. Mit Ihrem Mann, einem Bürstenmacher, hatte sie 5 Kinder. Schon nach wenigen Jahren glücklicher Ehe aber auch das Problem, dass ihr Mann das Bad Salzunger Klosterbier nicht vertrug. Obgleich er Jahr für Jahr tapfer immer mehr davon trank ...

Schon bald war ihm das Bürstenbinden nicht mehr so wichtig. Der eine oder andere Schnaps half ihm dann über den wachsenden Unmut seiner angetrauten Guste hinweg. Auguste nahm nun resolut die Geschicke der Familie in die eigene Hand.

Von der evangelischen Gemeinde und vom Magistrat der Stadt erbat sie sich Arbeit und Logis. So bekam sie den Posten als Türmerin. Guste zog um in das Turmstübchen - 40 Meter über den Marktplatz. Von nun an hatte sie nicht nur 5 Kinder und einen Suffkopp zu betreuen. Nun wachte sie über die Zeit und schlug die 4 Glocken der Stadtkirche. Bei Gefahr schmetterte sie laut

das Horn. Jahre vorher – 1786 war fast die halbe Stadt abgebrannt, da einige Bürger damals dachten, das nächtliche Bimmeln

hätte nichts Ernsthaftes zu bedeuten. 6 Uhr läutete Guste die Frühglocke und weckte damit ihre Salzunger auf. Dann sauste sie wieselflink die vielen Stufen zum Ratskeller hinunter, wo sie Aushilfsdienste in der Küche leistete. 8 Uhr stieg Guste die unzähligen Stufen wieder hinauf, um Ihre Kinder zu versorgen, welche gemeinsam in einem Zimmer des Turmbodens schliefen.

Das soll Tag ein - Tag aus, Jahr um Jahr so gegangen sein.

Die Salzunger kannten ihre Guste und das Los, das sie schleppte. Umso mehr schätzten sie ihre Zuverlässigkeit.  

 

Kleine Irritationen gab es höchstens mal, wenn ihr Mann sie vertrat und sie nicht selbst auf dem Turm war. Dann soll es ab und zu

eine Viertelstunde früher oder später geläutet haben. Und die Salzunger konnten wetten, das Guste irgendwo in der Stadt unterwegs war. Glockenguste war stolz auf ihre Verantwortung. Mit jedem Feuerunglück, das sie zu bekämpfen half, wuchs ihr Ansehen bei den Bürgern. Als Dank erfuhr ihre Familie vielfältige Unterstützung. Den Kindern wurde oft ein Apfel zugesteckt oder ein Glas

heiße Milch. So soll sie zum ersten Kriegsweihnachten, als es kaum was Ordentliches zu beißen gab, für sich und ihre Kinder gleich 3 ( ! ) Gänsebraten bekommen haben, welche  sie auch eifrig wegputzten und den Turmfalken nur Krümel überließen.

Während des ersten Weltkrieges erhielt sie den Befehl vom Rathaus, den Sieg in Galizien einzuläuten. Zur selben Stunde, als sie die Siegesglocken in Schwung brachte, traf auf der Salzunger Post die Nachricht vom Tode ihres Ältesten ein. Er war nur wenige Tage zuvor an der Ostfront gefallen. Der Ortspfarrer überbrachte Guste wenige Stunden später die traurige Nachricht.

 

Nun wollte der Kaiser auch noch ihre Glocken als Kriegsopfer. Sie musste mit anhören, wie nach 199 Schlägen des Glockenknackers ihre größte Glocke zerbrach und brockenweise vom Turm geworfen wurde. Eine Glocke ließ man ihr, mit der sie von nun an zu ihren Salzungern mit 3x3 Schlägen "sprach". Diese stammte von 1791 und wurde von Glockengießer Christoph Peter aus Homberg gegossen. Sie trägt die Inschrift "Mein Dasein war durch den Brand von 1786 zerstört, aber durch Herzog Georg zu Meiningen ist es 1791 wieder  hergestellt wurden, dass ich den Einwohnern Salzungens in Freud und  Leid diene..."

Präzise, wie Auguste Börner, die letzte Glöcknerin und Türmerin Thüringens.

 

Text: Diese Anekdote aus Bad Salzungen hat Chronist Richard Hebstreit recherchiert.